Hören und Antworten
Die Elemente des Gottesdienstes Schriftlesung und Glaubensbekenntnis
Ich bin immer gespannt, welche Lesung nach dem „Stillen Gebet“ kommt. Sie eröffnet den zweiten Teil des Gottesdienstes, der „Verkündigung und Bekenntnis“ genannt wird. Ihr Gewicht wird augenscheinlich, wenn der Vorleser oder die Vorleserin die Altarbibel zum Ambo (Lesepult) trägt. Es geht offensichtlich um mehr als nur um das Vorlesen irgendeines Textes. Gottes Wort wird vorgetragen – nur ohne Predigt. Jedenfalls ohne ausgearbeitete Predigt; alle Teile des Gottesdienstes predigen miteinander.
Man kann sich fragen, ob mit der Lesung nicht die Textlastigkeit des evangelischen Gottesdienstes drückend wird. Denn alles bis auf Orgelvorspiel, Orgelnachspiel und das Stille Gebet besteht aus dem hörbaren Wort. Dabei könnten noch mehr Lesungen vorkommen. Es gibt Formen des Gottesdienstes mit drei Lesungen: ein Stück aus dem Alten Testament, ein Abschnitt aus den Briefen des Neuen Testaments und dann als Höhepunkt die Lesung oder sogar das Singen des Evangeliums. Damit werden die Gläubigen durch die Fülle der Bibel an allen wichtigen Teilen vorbei zur Frohbotschaft von Jesus Christus geführt. In alten Kirchengebäuden kann man den liturgischen Ablauf des Lesungsteils der Messe in Marmor gehauen sehen. In San Clemente in Rom beispielsweise stehen im Kirchenschiff rechts und links hohe marmorne Lesepulte. Die Epistel, also der Brieftext, wird vom Altar aus gesehen links verlesen, das Evangelium rechts (die noblere Seite). Um zu unterstreichen, dass das Evangelium von Jesus Christus das seiner Auferstehung von den Toten ist, steht daneben die Osterkerze.
Bei uns Evangelischen gibt es oft die Aufteilung in Kanzelseite und Taufsteinseite. In der Mehrzahl der evangelischen Kirchen steht die Kanzel vom Altar aus gesehen rechts auf der „alten“ Evangelienseite, weil die Predigt das Evangelium auslegt, und die Lesung wird auf der anderen Seite von einem Lesepult aus gehalten. In Lustnau bestätigt die Ausnahme diese Regel, in Bebenhausen ist sie, was die Kanzel angeht, eingehalten. Allerdings ist das evangelische Lesepult mehrfunktional, denn es dient nicht nur als „Ambo“ für die Lesungen, sondern auch als schlichter Papierhalter z.B. für die Abkündigungen.
Wie wählt der Pfarrer oder die Pfarrerin die Lesung aus? Jeder Gottesdienst hat eine Prägung, die durch seine Stellung im Kirchenjahr definiert wird und die durch den Wochenspruch vorgegeben ist (vgl. den Artikel von Pfarrer Kerst im Gemeindebrief vom März). Von daher legen sich Texte nahe, welche einen Kontrast oder eine Ergänzung zum Haupttext des Gottesdienstes, dem Predigttext, darstellen. Ideen gibt die „Perikopenordnung“ mit den vorgeschlagenen Predigttexten. Ist das Tagesevangelium nicht der Predigttext, dann nehme ich es oft als Lesung, auch wenn die Botschaft in den anderen Texten genau so enthalten ist. Manchmal ist mir aber wichtiger, dass das „Alte Testament“ zu hören ist.
Die Bedeutung der Lesung wird unterstrichen, wenn die Gemeinde auf die Lesung mit dem Glaubensbekenntnis antwortet. Es fasst in festgefügter Form noch einmal zusammen, was in den unterschiedlichsten Texten vorher gehört wurde. Die Lesung stellt das Wort Gottes bunt in den Raum, und die Gemeinde sagt: Ja, diese vielfältigen Stücke werden in Jesus Christus zum einen Wort Gottes.
In der württembergischen Form des Predigtgottesdienstes fügt man das Glaubensbekenntnis – wenn überhaupt – nach der Lesung ein, wenn später ein Abendmahl eingesetzt oder eine Taufe vollzogen wird, damit alle aussprechen, in welchem Glauben gefeiert wird. Die Gottesdienstordnung des normalen Predigtgottesdienstes, wie sie im Gesangbuch unter den Nummern 684 und 688 abgedruckt ist, weicht von dieser Gewohnheit ab und setzt das Glaubensbekenntnis vor die Lesung als eine Eröffnung des Bekenntnisteils – aber die meisten Liturgien folgen an dieser Stelle der starken Messform (EG 689). Wir sind Antwortende auf das Wort Gottes und sagen Amen dazu.
Jörg Schneider