Die zweite Bebenhäuser Bibellesenacht bot 2005 mit „Kriminalgeschichten der Bibel“ Spannung mit Tiefgang, umrahmt von einem attraktiven musikalischen Programm.

Kriminalgeschichten haben Konjunktur. Unter den 50 bestplatzierten Romanen der Bestsellerlisten ist derzeit fast jeder zweite ein Thriller. Krimis bieten Spannung, psychologisch interessante Einblicke in das Denken und Fühlen ihrer Hauptpersonen und – wenn der Fall aufgeklärt ist – zuletzt das Gefühl, dass es in unserer chaotischen und schwer durchschaubaren Welt doch noch so etwas wie Ordnung gibt. Die Bebenhäuser Bibellesenacht zeigte, dass die Kriminalgeschichten der Bibel den Thrillern von heute an diesen Punkten in nichts nachstehen. Vom kleinen Eigentumsdelikt bis zum staatlich geplanten Massenmord decken sie die ganze Bandbreite von Vergehen ab, wie sie auch Commissario Brunetti oder Kurt Wallander in Atem halten.

Wer die Bibel mit den Augen des Krimi-Fans liest, kommt schon gleich auf den ersten Seiten auf seine Kosten: wenn beim ersten Mundraub der Weltgeschichte Adam und Eva vom verbotenen Baum essen oder brennende Eifersucht dazu führt, dass ein Bruder den anderen ermordet. Die Aufklärung solcher Fälle ist für den göttlichen Ermittler ein Leichtes, umso überraschender aber ist das Strafmaß, das er jeweils für angemessen hält.

Dass kriminelle Vergehen auch in den besten Familien vorkommen, wird aufmerksame Bibelleser ebenso wenig überraschen, wie die Tatsache, dass auch die Herrscher Israels, nicht einmal der große König David, davor gefeit sind. Es ist eine der bekanntesten biblischen Kriminalgeschichten, wie David den Ehemann der attraktiven Batseba aus dem Weg räumen ließ, um den Ehebruch mit ihr zu vertuschen. Aber auch vor seiner Thronbesteigung war David nicht nur der strahlende jugendliche Held, der Goliat besiegte, sondern bewegte sich in durchaus zwielichtigen Bahnen.

Echte Thrillerqualität hat schließlich die Geschichte von der Rettung der im persischen Reich lebenden Juden vor der drohenden Vernichtung durch die Intervention der ebenso schönen wie klugen Königin Ester, die bis heute alljährlich mit dem jüdischen Purimfest gefeiert wird. Und Jesus scheint geradezu Freude daran gehabt zu haben, die Zuhörerschaft seiner Gleichnisse mit moralisch zweifelhaften Helden zu konfrontieren.

Wenn Gott selbst die Ermittlungen aufnimmt oder wenn Jesus sich als Urheber von kriminalistischen Short-Stories erweist, wird rasch deutlich, dass es in den Kriminalgeschichten der Bibel nicht nur darum geht, bei der Lösung kniffliger Fälle dabei zu sein. Als Erzählungen von Schuld und Sühne, von menschlichem Vergehen und göttlicher Gerechtigkeit behandeln sie zugleich auch Grundfragen unseres eigenen Daseins und tragen dazu bei, Sinn und Orientierung für das eigene Leben zu finden.

Bildmotiv:
Leit(d)-Motiv auf dem Treppenportal der Renaissancekanzel in der Klosterkirche Bebenhausen
Aufnahme: Ursula Stöffler
Text: Hannelore Jahr

 

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