Martin Niemöller (1892 - 1984)

„Was würde Jesus dazu sagen?“ Das war die Leitfra­ge, die sich Martin Niemöller für sein Tun und Han­deln stellte. Aber diese Leitfrage führte ihn doch über sehr unterschiedliche Wegstrecken in seinem Leben. Der 1892 als Sohn eines Pfarrers in Lippstadt/West­falen Geborene schlug nach seinem Abitur erst ein­mal eine Offizierslaufbahn bei der Marine ein und machte im 1. Weltkrieg Karriere in der kaiserlichen U-Boot-Flotte, in der er es bis zum U-Boot-Kom­mandanten brachte. „Ich bin als Seeoffizier über alle Maßen glücklich gewesen in meinem Beruf“, bekann­te Niemöller noch Jahre später in seiner Autobiografie „Vom U-Boot zur Kanzel“ (1934). Wie manch anderer deutsch-nationale Offizier akzeptierte er das abrupte Kriegsende von 1918 nicht. Und der Versailler Vertrag war für ihn eine Schande, die er noch 1920 als Komman­dant eines Freikorps gegen den Ruhraufstand der „Roten“ auszubügeln versuchte. Nachdem er sich 1919 kurzzeitig als Bauer versucht und im Juli desselben Jahres die Arzttochter Else Bremer geheiratet hatte, mit der er sechs Kinder bekam, begann er im Oktober das Theologiestudium in Münster. Was ihn dazu bewog, schildert er in seiner Autobiografie so: „Für Theologie als Wissen­schaft, die Probleme lösen will, hatte ich von Haus aus keine Ader. Aber dass das Hören auf die Christusbot­schaft und der Glaube an Christus als den Herrn und Heiland neue, freie und starke Menschen macht, dafür hatte ich in meinem Leben Beispiele gesehen, und das hatte ich aus meinem Elternhaus als Erbe mitgenom­men. (...) Damit konnte ich, das war meine Überzeu­gung, meinem Volk aus ehrlichem und geradem Her­zen dienen.“

Das war also die Grundlage seiner Lebenseinstellung, die bei allen künftigen Herausforderungen für ihn immer wieder maßgebend war: Die lutherische Frei­heit eines Christenmenschen (frei von jedermann und frei für den Dienst an den Menschen) und die Orientie­rung am Evangelium von Jesus Christus: „Was würde Jesus dazu sagen?“ Dieser Weg führte ihn durch viele Lernprozesse hindurch vom kaisertreuen Offizier über den vaterländischen Nationalisten zum überzeugten Widerständler und nach dem Krieg zum Ökumeniker, Weltbürger und bedingungslosen Pazifisten.

Nach seiner Ordination 1924 wurde Niemöller Geschäftsführer der Inneren Mission in Westfalen und ab 1931 in seiner vielleicht wichtigsten Lebensphase Gemeindepfarrer in Berlin-Dahlem. Zwar begrüßte er noch im Frühjahr 1933 die Einführung des „Führer­staates“. Doch als die „Deutschen Christen“ versuch­ten, auch in der Kirche wie sonst im Dritten Reich „Nichtarier“ aus ihren Ämtern zu entfernen, war für Niemöller der Zeitpunkt zum Widerstand gekommen. Im September rief er seine Amtsbrüder zur Gründung eines reichsweiten Pfarrernotbundes auf, der dann zur Keimzelle der Bekennenden Kirche wurde.

Bei einem Empfang von Kirchenführern im Januar 1934 in der Berliner Reichskanzlei, an dem Nie­möller neben lauter Bischöfen als „einfacher“ Pfarrer teilnahm, kam es zur direkten Konfrontation zwischen ihm und Hitler. Als einziger wagte er es, dem „Füh­rer“ zu widersprechen: „Sie haben erklärt: Die Sorge um das deutsche Volk überlassen Sie mir. Dazu muss ich erklären, dass weder Sie noch sonst eine Macht in der Welt in der Lage sind, uns Christen und Kirche die uns von Gott auferlegte Verantwor­tung für unser Volk abzunehmen.“ Hitler ließ Niemöller daraufhin nach massiven Einschüchterungsversuchen, die ihn alle nicht mundtot machen konnten, 1937 ohne Gerichtsbeschluss als seinen „persönlichen Gefangenen“ zuerst im KZ Sachsenhausen und dann bis zur Befreiung 1945 in Dachau einkerkern.

Sofort nach dem Krieg engagierte sich Nie­möller für einen echten Neuanfang. Zuerst musste aber die Schuld der Kirche am Geschehenen aufgearbeitet werden. „Wir haben jetzt nicht die Nazis anzuklagen, die finden schon ihre Klä­ger und Richter; wir haben allein uns selber anzukla­gen und daraus die Folgerungen zu ziehen... Es handelt sich nicht um Fehler, sondern wir haben grundsätzlich das uns aufgetragene Amt im Ungehorsam versäumt und sind damit schuldig geworden.“ So wird er die treibende Kraft für die Stuttgarter Schulderklärung vom Oktober 1945: „Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. ... Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“ Diese Sätze eröffneten der evangelischen Kirche in Deutschland einen neuen Weg in die weltweite Ökumene, und Niemöller wurde dabei ihr vertrauenswürdigster Repräsentant.

„Was würde Jesus dazu sagen?“ Diese Leitfrage ließ Niemöller auch in der jungen Bundesrepublik in großer Freiheit gegen alle Restaurations- und Remilitarisierungsbestrebungen und dann gegen die ato­mare Aufrüstung der NATO auftreten: „Ich halte die Existenz von nuklearen Zerstörungsmengen für eine unmittelbare Lästerung des lebendigen Gottes.“ Es war ein weiter Weg, den Martin Niemöller bis dahin zurückgelegt hatte, und doch ist er sich dabei selbst treu geblieben. Auch für mich wurde er Vorbild für meine Berufswahl zum Pfarrer; denn „Pfarrer“, sagte er einmal, „ist der freieste Beruf, den ich kenne.“

Reinhardt Seibert, Pfarrer i.R.

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