Lenore Volz (1913 - 2009)

Lenore Volz, eine der ersten Pfarrerinnen in Würt­temberg, hat wichtige Pionierarbeit in unserer Lan­deskirche geleistet. Als sie nach dem Abitur Evan­gelische Theologie zu studieren begann, gab es noch keine Berufsperspektive für Theologinnen. Ihr gan­zes Berufsleben lang stand sie im Dienst der Lan­deskirche, doch bis zur Ordination war es ein langer Weg. Diese beeindruckende Frau hat den Weg dahin miterlebt und entscheidend geprägt.

Geboren ist Lenore Volz im Jahr 1913. Bereits ihre Mutter, Amalie Volz, leistete in der evangelischen Frauenbildungsarbeit Wegweisendes: Sie gründete in den zwanziger Jahren einen Arbeiterinnenverein und die erste evangelische Mütterschule Württem­bergs in Esslingen. Ihre klare Haltung während der NS-Zeit brachte Amalie Volz 1935 ein Gestapo-Ver­hör und unmissverständliche Warnungen ein; danach stand sie bis zum Kriegsende auf einer „schwarzen Liste“. Als Amalie Volz 1962 starb, nannte Landes­bischof Haug sie „eine Mutter der Kirche“.

Von ihren Eltern wurde Lenore Volz vorbehalt­los auf ihrem Weg unterstützt. 1933 begann sie in Tübingen Theologie zu studieren. Hellwach erlebte die junge Frau die nationalsozialistische Ideologi­sierung der Universität Tübingen und zugleich den beginnenden Kirchenkampf. Prof. Karl Heim wurde ihr wichtigster theologischer Lehrer. Im Jahr 1939 legte Lenore Volz das erste theologische Examen ab. Mit unverkennbarer Komik erzählte sie später, wie sie und ihre Kommilitoninnen die vorgeschriebene Prüfungspredigt abzulegen hatten: Ohne Talar, in der Sakristei und unter Ausschluss der Öffentlich­keit – ein Verkündigungsamt für Frauen war ja nicht vorgesehen.

Seit Mitte der zwanziger Jahre wurden einzelne Theologinnen in der Landeskirche angestellt. Man übertrug ihnen eingeschränkte Aufgaben: Seelsorge an Mädchen und Frauen, an Kranken und Alten. Das Dienstverhältnis war völlig ungesichert. Doch dann begann der Zweite Weltkrieg. Schon bald war weit mehr als die Hälfte der Pfarrer als Soldaten einge­zogen. Die Lücken in den Gemeinden waren nicht mehr zu schließen.

So wurde Lenore Volz als theologische Praktikantin nach Münsingen geschickt; nach einem halben Jahr wurde sie „Pfarrgehilfin“ in Bad Cannstatt. Gemein­sam mit wenigen verbliebenen älteren Kollegen hatte sie unzählige Gottesdienste zu übernehmen. Die Bedingungen waren hart – kriegsbedingt, aber auch durch die unklare Situation der Theologinnen erschwert. Doch überrascht stellten die Gemeinden fest, dass die Vikarin predigen und Gottesdienst halten, dass sie unterrichten und Seelsorge leisten konnte wie ihre Kollegen auch.

„S’isch reacht gwae“, hörte Lenore Volz vom from­men Kirchenpfleger eines Dorfes, in dem sie kurz­fristig einspringen musste. Der Organist in diesem Gottesdienst kam jedoch beim Anblick der schma­len jungen Frau „im schwarzen Kleidle“, die die Kanzelstufen erklomm, so aus dem Takt, dass der Gemeindegesang völlig verstummte – da beschloss Lenore Volz, dass künftig ein Talar her müsse. Eine junge Pfarrfrau, deren Mann gefallen war, überließ ihr den Talar ihres Mannes. Das Gewand wurde auf ihre Größe zurechtgeschneidert, dann stellte sie sich dem Herrn Dekan (und dessen Frau) und schließlich auch dem zuständigen Prälaten damit vor. Und die Vorgesetzten ließen sich überzeugen, dass das wohl nötig sei.

Nach Kriegsende sollte die Arbeit der Theologinnen rasch wieder eingegrenzt werden. Angesichts des großen Pfarrermangels waren sie in den Gemeinden aber weiterhin dringend nötig. 1948 erließ die Lan­deskirche ein „Gesetz über den Dienst der Theolo­ginnen“, das die Anstellung erstmals grundlegend regelte. Doch es blieb ein Amt in Abhängigkeit vom ordinierten Pfarramt. Es bedurfte weiterer gründli­cher, biblisch-theologischer Arbeit, um die Vorbe­halte gegen die Frauenordination zu überwinden. Ab 1959 machte Lenore Volz sich daran, gemein­sam mit anderen diese Grundlagenarbeit zu leisten. Prof. Friedrich Lang aus Tübingen trug wesentlich dazu bei. Vorträge und Diskussionen machten das Thema in der Landeskirche publik. Zusammen mit zwei Theologinnen und drei Theologen ver­öffentlichte Volz 1967 die Studie „Frauen auf der Kanzel?“. Diese gründliche theologische Vorarbeit lag der Landessynode vor, als das Thema „Frauenordination“ schließlich auf der Tagesordnung stand. Nach einer tiefgehenden und bewegenden Debatte wurde am 15. November 1968 die „Theologinnenordnung“ verabschiedet und die Ordination von Frauen zum Pfarrdienst ermöglicht.

Lenore Volz war damals bereits 55 Jahre alt. Sie wechselte nicht mehr ins Gemeindepfarramt, son­dern wurde Krankenhauspfarrerin und arbeitete an einer weiteren großen Reform mit, um die Klinikseelsorge auf eine neue Grundlage zu stellen. Noch einmal zehn Jahre später, als Lenore Volz 1978 in den Ruhestand trat, wurden in Württemberg Männer und Frauen im Pfarrdienst vollständig gleichgestellt. Auch im Ruhestand blieb Pfarrerin Volz beeindru­ckend präsent. Vor fünf Jahren, im September 2009, ist sie 96-jährig in Stuttgart gestorben.

Elisabeth Hege

Dekanin des Evang. Kirchenbezirks Tübingen

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